Seitenbeginn Zur Hauptnavigation Zum Seiteninhalt

Boos-John kritisiert Kommissionsentwurf für künftigen EU-Haushalt


„Vorschläge sind inakzeptabel“: Erhebliche Verschlechterungen für EU-Regional- und Agrarförderung befürchtet / Ministerin hält weitere Verhandlungen über Mehrjährigen Finanzrahmen 2028-2034 für notwendig – Thüringen wird sich intensiv in die Diskussion einbringen

Thüringens Wirtschafts- und Agrarministerin Colette Boos-John hat die gestern vorgestellten Planungen der EU-Kommission für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2028 bis 2034 scharf kritisiert. Die Vorschläge sehen Mittelkürzungen in wichtigen Politikbereichen, eingeschränkte Zuständigkeiten der Länder für die Umsetzung der EU-Förderung, eine Benachteiligung von größeren Agrarbetrieben sowie geringere Unterstützungsmöglichkeiten für den ländlichen Raum oder den Landschafts- und Tierschutz vor. Zudem solle die bisherige Eigenständigkeit der Agrar- und der Strukturfondsförderung aufgegeben und die Auszahlung von EU-Mitteln an nationale „Meilensteine“ gebunden werden. „Die Mittel für die Landwirtschaft und die regionale Strukturförderung sinken, die Bürokratie wächst – aus Sicht Thüringens sind diese Vorschläge inakzeptabel“, bewertet die Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerin den Kommissionsentwurf. Auch die Einführung neuer Steuern und Abgaben auf EU-Ebene für Unternehmen lehne sie rundweg ab – „die Steuerlast in Europa ist ohnehin bereits höher als sie sein sollte“. Mit Blick auf den künftigen EU-Haushalt werde sich das Land neuen Ideen und Ansätzen nicht verschließen – „aber dieser erste Schuss ging doch weit am Ziel vorbei“.

Der Mehrjährige Finanzrahmen legt die Ausgaben der einzelnen Politikbereiche der EU – von der Landwirtschafts- und Strukturpolitik über strategische Technologien und die Migration bis zur Unterstützung der Ukraine – für jeweils sieben Jahre fest. Der aktuelle MFR 2021-2027 hat ein Gesamtvolumen in Höhe von gut 1,2 Billionen Euro. Hinzu kommen Mittel aus dem Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ in Höhe von rund 807 Mrd. Euro. Von den Gesamtmitteln in Höhe von gut zwei Billionen Euro im jetzigen MFR sind rund 386,6 Milliarden Euro für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und 149,2 Milliarden Euro für die Wirtschafts-, Forschungs- und Digitalpolitik vorgesehen. Ab 2028 soll sich das Gesamtvolumen des neuen MFR auf rund zwei Billionen Euro belaufen – allerdings bei höheren Ausgaben bspw. für Sicherheit und Verteidigung. Die genaue Verteilung auf die einzelnen Politikbereiche ist dabei unklar.

Neben vielen Kritikpunkten sehe sie durchaus auch positive Aspekte in dem MFR-Entwurf, sagte die Ministerin weiter. „Dass die EU-Kommission industrielle Zukunftsinvestitionen künftig stärker fördern will, halte ich für richtig. Europa muss an seiner Wettbewerbsfähigkeit in wichtigen Technologiebereichen arbeiten und wieder Boden gegenüber den USA und China gutmachen.“ Dies dürfe aber nicht zu Lasten von Kernbereichen wie der Agrar- und Strukturpolitik gehen, so Boos-John: „Landwirtschaft und regionale Wirtschaftsentwicklung bleiben die Basis für Wachstum und Beschäftigung auf unserem Kontinent. Was hier über Jahrzehnte hinweg aufgebaut worden ist, darf jetzt nicht einfach über Bord geworfen werden. Wir brauchen Kontinuität und Verlässlichkeit in der Agrar- und Strukturpolitik.“

Die heute vorgelegten Vorschläge der EU-Kommission könne daher lediglich ein „erster Aufschlag“ für die künftige Ausgestaltung des MFR sein „Die eigentlichen Verhandlungen beginnen jetzt erst. Und es muss intensiv verhandelt werden, um ein für die Mitgliedsstaaten zustimmungsfähigen Kompromiss zu erreichen“, so die Thüringer Wirtschafts und Landwirtschaftsministerin: „Thüringen wird sich in diese Diskussionen intensiv einbringen.“

Wichtigste Forderungen aus Sicht des Freistaats sind:

  1. Eine ausreichende finanzielle Ausstattung des MFR 2028-2034 für die Agrar- und Wirtschaftspolitik auf mindestens gleicher Höhe wie bisher. Nach dem Kommissionsentwurf sind für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) beispielsweise künftig noch 300 Milliarden Euro vorgesehen – ein deutlicher Rückgang gegenüber dem aktuellen Finanzrahmen (386 Milliarden Euro). Auch die Regionalförderung werde beschnitten. „Gerade die Landwirtschaft soll qualitativ hochwertige Lebensmittel bereitstellen, Einkommen sichern und attraktive Arbeitsplätze bieten, außerdem Umwelt und Biodiversität schützen und den ländlichen Raum stärken. All das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die europäische Agrarpolitik muss ebenso wie die regionalen Strukturfonds mit einem ausreichend finanzierten Haushalt untersetzt werden“, so die Ministerin. Der Verweis auf eine höhere Kofinanzierung durch die Mitgliedsstaaten sei aus ihrer Sicht zu kurz gegriffen – viele EU-Länder leisteten bereits hohe Zahlungen oder hätten selbst mit hohen Schuldenständen zu kämpfen.
  2. Beibehaltung der Zuständigkeit der Länder und Regionen für die Mittelverteilung und den Mitteleinsatz vor Ort: „Die EU-Agrar- und Regionalpolitik muss regional verankert bleiben“, so Boos-John. Schließlich wisse man in den Regionen am besten, wo die dringenden Probleme und Förderbedarfe lägen. „Einer zusätzlichen nationalen Koordinierungsstelle bedarf es dabei nicht.“
  3. Erhalt der Eigenständigkeit der verschiedenen Fördersäulen. „Die Zusammenführung beispielsweise von GAP und Strukturförderinstrumenten wie dem EFRE in einem übergeordneten Fonds führt aufgrund unterschiedlicher Förderlogiken zu Umsetzungs- und Abrechnungsproblemen, Planungsunsicherheit und erhöht letztlich die Komplexität der Förderprozesse“, sagt die Ministerin. „Unsere Forderung lautet: Nur das zusammenführen, was auch zusammen passt.“
  4. Größere, regional verankerte Agrarbetriebe, wie sie vor allem in Ostdeutschland die Regel sind, benötigen auch in Zukunft die volle Unterstützung der EU-Agrarpolitik. Nach den aktuellen Vorschlägen wären nach einem ersten Überschlag bis zu 25 Prozent der Thüringer Betriebe von Kürzungen insbesondere bei der Einkommensunterstützung betroffen. „Das würde in der Konsequenz dazu führen, dass die Thüringer Landwirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit verlieren würde“, so die Agrarministerin. „Das werden wir so nicht hinnehmen.“
  5. „Der ländliche Raum darf nicht abgehängt werden“, so Boos-John weiter. Zwar solle das LEADER-Programm als ein Instrument zur Unterstützung der ländlichen Entwicklung offenbar fortgesetzt werden. „Insgesamt ist angesichts der aktuellen Vorschläge allerdings zu befürchten, dass die bisherigen passgenauen Förderinstrumente für die ländliche Entwicklung in dem neuen, gemeinsamen Großfonds einfach ‚untergehen‘.“
  6. Notwendig sei darüber hinaus sowohl mit Blick auf die Agrar- wie Regionalförderung der Einstieg in einen echten Bürokratieabbau und die Vereinfachung von Förderinstrumenten. „Thüringen wird alles daran setzen, dieses Thema noch stärker in den Fokus zur rücken“.

 

Stephan Krauß
Pressesprecher

Diese Seite teilen

Weitere Werkzeuge