Überregulierung und hoher Kostendruck sind aus Sicht von Agrarministerin Colette Boos-John die Hauptursachen für die rückläufige Zahl von Milchviehbetrieben in Thüringen. „Die Milcherzeugung ist der wertschöpfungsintensivste Bereich der Agrarwirtschaft und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor gerade im ländlichen Raum“, sagte Boos-John beim Thüringer Milchtag 2025 heute in Erfurt. „Deshalb ist es ein zentrales Anliegen der neuen Landesregierung, die weitere Schrumpfung der Tierhaltung in Thüringen zu stoppen.“ Aktuell werden im Freistaat in ca. 220 Betrieben noch ca. 79.000 Milchkühe gehalten. Gegenüber 2020 entspricht dies einem Rückgang von einem Fünftel der Betriebe und ca. 14 Prozent der Tiere. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Branche durch wenig flexible Lieferbeziehungen, geringes Marktwachstum und eine unsichere Preisgestaltung.
Um die Situation der Milchwirtschaft in Thüringen zu verbessern, sei eine Entlastung bei den Energiekosten ein erster Ansatzpunkt, sagte die Landwirtschaftsministerin. „Der Bund muss die Netzentgelte und die Stromsteuern so schnell wie möglich absenken.“ Damit könne ein schneller und wirksamer Beitrag zur Stärkung der Landwirtschaft ebenso wie von Handwerk und Industrie geleistet werden. „Die Chancen dafür, dass sich hier bald etwas tut, sind mit der Bundestagswahl deutlich gewachsen.“ Mit Blick speziell auf den Agrarsektor seien aber weitere Hilfen notwendig, so Boos-John. „Deshalb spreche ich mich klar dafür aus, die von der Ampelregierung vorgenommene Kürzung der Steuervergünstigung auf Agrardiesel zurückzunehmen.“ Die Rückvergütung müsse bis auf Weiteres in voller Höhe wieder eingeführt werden. Sie gehe davon aus, dass das Thema bereits Anfang April auf der Tagesordnung der nächsten Ost-Ministerpräsidentenkonferenz stehen werde.
Zum anderen will die Ministerin die Landwirte von wachsender Bürokratie entlasten. „Die Zahl immer neuer, immer höherer gesetzlicher Auflagen wächst unaufhörlich – das kann so nicht weitergehen“, so Boos-John. Nach einem früheren Bericht der Bundesregierung belaufen sich die Bürokratiekosten für die deutsche Landwirtschaft auf etwa 620 Millionen Euro jährlich. Daraus dürften auch auf die Thüringer Agrarbetriebe Belastungen im Millionenbereich entstehen – „Geld, das besser in neue Maschinen, Verfahren und Produkte investiert wäre“.
Möglichkeiten für ein „Auslichten des Vorschriftendschungels“ sieht sie u.a. in einer Verringerung oder dem Wegfall von Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten, der Reduzierung von Regeln, Ausnahmen und Sonderfällen im EU-Förderrecht oder der Synchronisierung und Vereinfachung von Förderprogrammen. Konkret sei derzeit zum Beispiel eine Harmonisierung der unterschiedlichen Vorschriften im Dünge-, Pflanzenschutz- und Gewässerrecht überfällig. Zudem müsse künftig wieder der Grundsatz gelten, dass die deutschen Landwirte durch die Rechtsetzung nicht gegenüber der Konkurrenz aus anderen EU-Staaten schlechter gestellt werden dürften. „Wir brauchen eine EU-weite Harmonisierung von Regelungen und neuen Vorschriften“, sagte die Ministerin. „Wenn sich die Tierhaltung in andere Länder mit niedrigeren Standards verlagert, ist dem sinnvollen Ziel besserer Haltungsbedingungen auch nicht gedient.“
Klar sprach sich die Thüringer Landwirtschaftsministerin in diesem Zusammenhang gegen die Anwendung des Artikels 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) der EU auf nationaler Ebene aus. Der Artikel regelt Vertrags- und Lieferbeziehungen im Milchmarkt und legt damit Mengen, Preise und Laufzeiten fest. Die EU-Kommission hatte zu Beginn des Jahres angekündigt, den Artikel neu zu regeln und faktisch zu verschärfen. „Dies ist ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Satzungs- und Vertragsfreiheit der genossenschaftlich organisierten Molkereien“, sagte Boos-John. Mit einer solchen „Planwirtschaft 2.0“ werde man den vielfältigen Verwertungs- und Vermarktungsstrukturen der Molkereien und den Erfordernissen, auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren, nicht gerecht. „Stattdessen würde aber wieder einmal ein erheblicher bürokratischer Mehraufwand für Milcherzeuger, Molkereien und letztlich auch die umsetzenden Behörden entstehen. Das lehnen wir ab.“
Insgesamt zeigte sich die Ministerin dennoch optimistisch für die weitere Entwicklung der Milchbranche. „Gerade die Thüringer Milchwirtschaft ist hinsichtlich ihrer Struktur gut aufgestellt“, sagte Boos-John. Die Betriebsgrößen hätten deutliche Vorteile gegenüber Unternehmen in anderen Bundesländern, das Leistungsniveau sei exzellent und der Futteranbau in der Region gesichert. Das Land hat die Verbesserung der Haltungsbedingungen von Rindern im vergangenen Jahr mit knapp 3,9 Millionen Euro aus Mitteln der „Investitionsförderung landwirtschaftlicher Unternehmen in Thüringen“ (ILU) unterstützt. Der weitaus größte Teil der Mittel (98 Prozent oder 3,86 Millionen Euro) floss dabei in die Erneuerung und Modernisierung von Stallbauten für Milchkühe, Aufzuchtrinder und Kälber.
Stephan Krauß
Pressesprecher